BORDERLINE-PERSÖNLICHKEIT

Vom Leben in Extremen und von der Entwicklung der Zwischentöne.
Ein Vortrag über Verständnis, Hoffnung und Heilung: (gehalten im Rahmen der Vortragsserie „Wenn die Seele Hilfe braucht“ im Jänner 2010 in der Bezirksamt Mariahilf von Caroline Raich-Wimmer und Yasmin Randall)

Wie kann eine Borderline-Persönlichkeit erkannt werden?

Unseren Seelen wohnt das Bestreben inne, ein inneres Gleichgewicht herzustellen.
Aus diesem Grund sprechen wir hier eben auch von „Borderline-Persönlichkeit“ und nicht, wie es fachlich korrekt wäre, von „Borderline-Persönlichkeitsstörung“.

Ein Mensch, dessen Psyche eine Borderline-Persönlichkeit entwickelt hat, hat dies aus einer Not, einem Mangel heraus gemacht. Es war die einzige Möglichkeit, das psychische und oft auch physische Überleben zu sichern. Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeit verhalten und fühlen sich oft sehr extrem, anders als andere.

Wichtig:

Wir möchten Ihnen nun darlegen, woran diese Borderline-Struktur einer Persönlichkeit erkannt werden kann. Anschließend wird die Entstehung skizziert, ehe wir die Möglichkeiten im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung anführen.

Nach einem der verschiedenen Diagnose-Schemata, dem DSM 4 müssen von den folgenden 9 Punkten mindestens 4 erfüllt sein.

Diese Impulse schaden der betreffenden Person sehr oft. Es kann sich dabei handeln um: Drogensucht, Ladendiebstahl, rücksichtsloses Autofahren, wahllosen Sex ohne Verhütung oder andere selbstschädigende Tätigkeiten.

Sind also zumindest vier dieser neuen Kriterien erfüllt, so können wir von einer Borderline-Persönlichkeit sprechen.

Komorbidität
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeit erleiden oft auch depressive Episoden. Häufig auch Suchterkrankungen. In vielen Fällen leiden die Betroffenen auch an Ess-Störungen, insbesondere an Bulimie (Ess-Brechsucht, seltener an Anorexie). Nachdem der Entstehung einer Borderline-Persönlichkeit oft schwerwiegende Traumatisierungen zugrunde liegen, kommt es oft auch zur so genannten Dissoziation: Hierbei handelt es sich um eine Veränderung der Selbstwahrnehmung, die Person fühlt sich fremd im eigenem Körper – sie beobachtet sich von außen. Dabei reagieren die Personen völlig angemessen auf ihre Umwelt.

Entstehung

Was wir uns natürlich fragen ist: Wie kann so eine Symptomatik entstehen?

Dazu möchten wir mit Ihnen einen Ausflug in die frühe Kindheit machen: Wir sprechen in der folgenden Ausführung zumeist von „der Mutter“. Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um die ersten Bezugspersonen des Kindes (Mutter, Vater, Großmutter, Kindermädchen etc) handelt, die zu Beginn meist die Mutter ist. Der Kreis der bedeutsamen Bezugspersonen erweitert sich  im Laufe des Lebens natürlich.

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Baby – ganz klein noch, vollkommen abhängig von ihrer Mutter, abhängig von deren Fähigkeit Ihre Bedürfnisse zu erkennen, sie zu befriedigen und Sie zu lieben. Sie wissen noch nicht, was oder wer sie sind, sie sind noch mit ihrer Mutter verschmolzen und erkennen sich nur durch das Glänzen, das Sie in den Augen Ihrer Mutter sehen, wenn sie Sie anblickt. Wenn ihre Mutter in der Lage ist, Sie ausreichend gut zu versorgen, ihre Berührungen liebevoll sind, und Sie auch sonst keinen traumatisierenden Bedingungen ausgesetzt sind, werden Sie Vertrauen in diese Welt entwickeln, Sie werden lernen, dass Ihre Mutter meistens lieb ist, aber manchmal auch grantig. Sie werden bis zum Ende des ersten Lebensjahres begonnen haben zu lernen, dass es manchmal Frustrationen gibt, manchmal ein lautes Wort, aber diese kleine Welt überfordert sie nicht. Es ist von allem genug da, und Sie können vertrauen und lernen, dass kleine Unannehmlichkeiten nicht ihre Welt zerstören. Sie können sich am Körper Ihrer Eltern abstemmen und beginnen zu lernen, was ist mein Körper, was bin ich. – Sie können beginnen herumzukrabbeln, die Welt zu entdecken, und immer sicher sein, dass Sie geschützt sind – dass es in Ordnung ist, was Sie machen und Sie Ihre Mutter immer wieder so wie Sie sie verlassen haben vorfinden.
Wenn aber Ihre Mutter selbst große Probleme hat, überfordert ist mit der Situation, Mutter zu sein, sie Sie immer wieder anschreit, oder schüttelt, oder,  was leider sehr häufig der Fall ist  schlägt, oder Gewalt in der Familie herrscht, oder sexueller  Missbrauch an Ihnen – dann wird Ihre Seele keine Möglichkeit haben, diesen Lernprozess zu bewältigen, sondern muss auf ein „Notprogramm“ umschalten. Sie können diese furchtbaren Dinge, die Ihnen da widerfahren nicht verstehen, Sie können sich nicht wehren, Sie müssen überleben – Sie sind abhängig von Ihrer Mutter, von den Personen, die sie pflegen und Sie haben aber Angst zu sterben. Also zerbricht Ihre kleine Welt in eine gute und eine böse Welt. In dieser bösen Welt schalten Sie sich vielleicht manchmal einfach ab und lassen alles über sich ergehen, so als ab Sie gar nicht da wären. Das heißt, alles ist in einem Moment ganz gut, oder in einem Moment der Frustration, Angst oder Wut ganz böse und sie wissen und spüren nichts mehr von dem anderen Guten oder Bösen.
Kinder, die in dieser Zeit so schwer traumatisiert wurden, können eine sehr tiefe Borderline-Störung entwickeln, was bedeutet, dass sie ganz wenige innere gute Bilder entwickeln konnten – wir können uns vorstellen, dass sie auch in ihrem weiteren Kindheitsverlauf tiefen Schaden an den Problemen und Übergriffen ihrer Familie nehmen werden.

Aber  lassen Sie uns in der Zeit weitergehen und sagen, Sie hätten ohne allzu großen Schaden zu nehmen das ca. 2. Lebensjahr erreicht. In der Zeit zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr werden Sie immer mehr und intensiver ihre Umgebung und ihren Körper entdecken und sich, zumindest zu Beginn dieser Phase, noch immer als Teil Ihrer geliebten Erwachsenen fühlen – dadurch fühlen Sie sich groß und mächtig. Jedoch wird ihnen immer mehr und mehr klar, dass die doch eigene Menschen sind, die sie nicht beherrschen können. Das macht Ihnen Angst, es macht Sie zornig, Sie haben einerseits Angst, die Mutter zu verlieren, wenn Sie nicht nah bei ihr sind – andererseits wollen Sie ihre neu gewonnene Freiheit nicht aufgeben.
Aus diesen Gefühlen heraus entsteht ein Konflikt, bei dem es darum geht, dass ihre Mutter ruhig und sicher genug ist, Ihnen einerseits Grenzen zu setzen, Ihnen andererseits die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu entdecken und Ihnen das Gefühl gibt geliebt zu sein.
Eine Liebesfähigkeit zu entwickeln, die gereift ist – die Platz hat für sich selbst und für die Bedürfnisse des andere und die vor allem sicher ist.
Stellen sie sich vor: ein kleines Kind, das Schubladen ausräumt und dafür geschlagen und geschimpft wird, ein alkoholisierter Angehöriger, der seiner Wut freien Lauf lässt, sexueller Missbrauch, der oft schon in dem Alter beginnt, oder auch später, oftmaliges erniedrigendes Schreien mit dem Kind, extrem harte Strafen – all das sind Situationen, die ein kleines Kind vollkommen überfordern, und es ihm unmöglich machen, seine seelischen Lernschritte zu bewältigen und zu beginnen, sich ganz langsam und gesund von den Eltern zu lösen.
Das Kind beginnt eine Sehnsucht nach einer allumfassenden Liebe, nach einer immer wunscherfüllenden Mutter zu entwickeln  – gleichzeitig wendet es sich von der reale Mutter sichtbar oder verborgen ab und beginnt, sich und die Mutter zu hassen. Dieses Sehnsucht, die wichtiger wird als alles andere, schlägt sich dann in den sehr intensiven, schnellen Beziehungsmustern eines Menschen mit Borderline-Struktur nieder – ebenso, wie sein Hass,  der sich selbst und den anderen vernichtet, wenn die Angst vor dem Verlassenwerden hoch kommt.
Menschen, die eine Borderline-Struktur entwickelt haben suchen in ihren Beziehungsmustern also immer wieder die verloren gegangene Mutter, an der ihre Liebe wachsen und reifen kann – und tun gleichzeitig viel dazu, ihre Liebesbeziehungen zu zerstören, bevor sie verlassen werden.

Kinder, die unter fortwährender Angst, Trennungen, Unterdrückung, Gewalterfahrungen oder sexuellem Missbrauch leiden mussten, leiden natürlich besonders häufig an einer Borderline-Störung. Dementsprechend ist auch klar, dass es unterschiedliche Tiefen dieser Borderline-Struktur gibt. Alle aber konnten weder Vertrauen, noch eine reifende Liebe erfahren – oder diese Erfahrungen wurden wieder zerstört und konnten sich dadurch seelisch nur teilweise entwickeln.
Das hat aber nichts zu tun, ob und wie erfolgreich sich ein Mensch im Beruf platzieren kann, viele Menschen sind beruflich erfolgreich und leben scheinbar ein ganz normales Leben – so wie vielleicht die Familie, in der sie groß geworden sind, eine scheinbar ganz normale Familie war...

Was wir noch sagen möchten ist, dass Kinder um so schweren Schaden zu nehmen häufig oder über einen langen Zeitraum hinweg einem so schwierigen Umfeld ausgesetzt sein müssen. – Über die Entwicklung eines Menschen bestimmt normalerweise der übliche, tägliche Umgang, nicht ein Einzelereignis.

Psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten:

Es handelt es sich hier also um eine Problematik, die tiefe Wunden in die Seele des sich entwickelnden Kindes geschlagen hat. Aus diesem Grund bedarf es ausnahmslos einer Behandlung in Form einer Langzeittherapie mit einem diesbezüglich geschulten Therapeuten. Das heißt: Eine oder zwei Therapiestunden pro Woche für mindestens drei Jahre.

Wie Sie der Erklärung der Symptome entnehmen konnten, entstehen einige Schwierigkeiten im Kontakt, - und daher natürlich auch in der therapeutischen Beziehung. Darauf muss unbedingt von Anfang an Bedacht genommen werden.
Die Bedingungen für eine Therapie müssen von Seiten des Therapeuten klar definiert und diskutiert werden (Zuverlässiges Erscheinen, Regelung der Bezahlung, Ehrlichkeit von Seiten des Patienten, Engagement des Therapeuten und Erklärung der Grenzen des Engagements, bei Bedarf: Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen wie Ärzten und evtl.Sozialarbeitern).

Im Laufe einer Therapie muss mit Siuzidankündigungen oder Suizidversuchen gerechnet werden. Vermutlich wird die Therapeutin manchmal idealisiert und verehrt und dann verachtet und entwertet. Idealisierung und Entwertung werden oft auf verschiedene Behandler (Psychiaterin, Therapeutin aufgespalten).Es muss also, so weit dies möglich ist abgesichert werden, dass die therapeutische Behandlung die Hochschaubahn der Gefühle, die nun mal zu diesem Zustand dazu gehört wie das Amen im Gebet, übersteht.

Sehr hilfreich ist unserer Erfahrung nach, die Diagnose ganz klar zu besprechen. Dies wird normalerweise als erleichternd erfahren: „Endlich versteht jemand, wie ich bin und wie es mir geht!“ (Und dieses Verständnis ist ja natürlich auch der Schlüssel zu einer Erfolg versprechenden Behandlung.) Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeit spüren, dass sie anders sind als die anderen. Und sie fühlen sich ihren Gefühlsstürmen und inneren Spannungen hilflos ausgesetzt.

Am Anfang jeder Therapie steht also eine Phase der Klärung, die u.U. auch in einem schriftlichen Vertrag festgehalten werden kann. Im Falle einer Einigung gilt es in der ersten Phase, die Grenzen zu wahren und die Beziehung zu halten. Finden die Sitzungen regelmäßig statt? Welche Gefahren drohen der Behandlung? Sämtliche Fragen dazu müssen eingehend und vorrangig diskutiert werden.
Bei Suizidtendenzen und selbstverletzendem Verhalten müssen Notfallsszenarien vereinbart werden: Wer ist im Notfall anzurufen? (Psychiaterin, Krankenhaus oder verlässliche Freunde oder Verwandte?) Wie können Verletzungen vermieden werden? Oft hilf die Ausarbeitung einer Notfallskarte. Auf dieser wird notiert, was bisher in Krisensituationen als hilfreich empfunden wurde. (Besondere CD einlegen, tanzen, kalt duschen, Telefonnummern, … das ist dann individuell ganz verschieden). Wichtig ist in der Folge, dass die Patientin/ der Patient lernt, ihre Impulse und die Art, wie sie Beziehungen gestaltet, zu verstehen und für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen. Sie soll sich zunehmend als Kapitän ihres Lebensschiffes verstehen und erleben.
Schließlich kommt mehr und mehr Ruhe in die Therapie. Die Patientin fühlt sich verstanden und versteht ihre Impulse zusehends besser. Sie fühlt sich nicht mehr wie ein Blatt im Wind, - wiewohl die Schwankungen noch auftauchen. Doch die werden verstanden und bewusst wahrgenommen und oft kann Wutanfällen oder Beziehungsabbrüchen entgegengewirkt werden. Nun kann daran gearbeitet werden, wie es zur Entwicklung dieser Borderline-Persönlichkeit gekommen ist. Es geht um einen Prozess der Bewusstwerdung und darum, in der therapeutischen Beziehungen neue, gute und korrigierende Erfahrungen zu machen und Vertrauen zu erleben.
Es würde den Rahmen dieses Vortrages sprengen, die therapeutische Arbeit hier genauer zu beschreiben. Auch unterscheidet sich natürlich jede Therapie von der anderen.
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeit haben viele schlimme Erfahrungen gemacht und erleben großes Leid. Wichtig ist es uns, hier festzuhalten, dass Hilfe möglich ist und zwar ausschließlich in einem professionellen klar abgesteckten Rahmen.

Medikation:
Eine spezifische Medikation gibt es leider nicht. Die Fachärztin für Psychiatrie muss entscheiden, ob Antidepressiva oder Neuroleptika sinnvoll sind, um depressive Phasen oder Impulsdurchbrüche zu mildern und so auch stabilisierend zu wirken.

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